Liebe oder Zwang?
Zweifel in einer Beziehung kennt fast jeder: „Liebe ich genug?“, „Ist mein Partner die richtige Person?“, „Was, wenn ich mich trennen müsste?“
Solche Gedanken sind normal – wenn sie aber ständig auftauchen, sich im Kreis drehen und das Beziehungsglück überschatten, kann es sich um ROCD (Relationship Obsessive Compulsive Disorder) handeln – eine besondere Form der Zwangsstörung.
Fallbeispiel: Wenn die Liebe ständig hinterfragt wird
Frau B., 27 Jahre, lebt seit drei Jahren in einer festen Partnerschaft. Immer wieder zweifelt sie an ihrer Beziehung und ihrer Liebe. Begegnet sie einem anderen Mann, fragt sie sich sofort: „Habe ich ihn zu lange angesehen? Habe ich geflirtet?“
Das schlechte Gewissen lässt sie nicht los, sie verspürt den Drang, alles mit ihrem Partner zu besprechen. Kurzzeitig beruhigt sie das – bis der nächste Zweifel auftaucht.
Auch im Alltag beschäftigt sie die Frage: „Fühle ich wirklich genug? Ist das echte Liebe?“ Sobald sie kurz keine intensiven Gefühle spürt, wächst die Panik: „Vielleicht ist es nicht die wahre Liebe?“
Stundenlang sucht sie im Internet nach Tests und Artikeln über „wahre Liebe“ – und bleibt dennoch verunsichert.
Dieses Beispiel zeigt, wie quälend ROCD werden kann: Der Wunsch nach absoluter Gewissheit zerstört die Gelassenheit in Beziehungen.
Was ist ROCD genau?
ROCD ist eine Unterform der Zwangsstörung, die vor allem romantische Beziehungen betrifft. Typisch sind:
- Wiederkehrende Zweifel an den eigenen Gefühlen oder an der Beziehung.
- Quälende Gedanken über vermeintliche Fehler des Partners.
- Ständiger Drang nach Gewissheit, dass man „wirklich liebt“ oder „den richtigen Partner hat“.
Die Folge: Ein endloser Kreislauf aus Unsicherheit → Zweifel → Rückversicherung → kurzfristige Beruhigung → neuer Zweifel.
Zwei Formen von ROCD
Beziehungszentrierte Zweifel
Betroffene fragen sich:
- „Bin ich wirklich verliebt?“
- „Fühlt sich unsere Beziehung so an, wie sie sich anfühlen sollte?“
- „Andere Paare wirken glücklicher – was stimmt bei uns nicht?“
Partnerzentrierte Zweifel
Hier stehen die vermeintlichen Fehler des Partners im Mittelpunkt:
- „Ist er intelligent genug?“
- „Stört mich ihre Nase / Figur / Art zu reden?“
- „Würde jemand anderes besser zu mir passen?“
Typische Verhaltensmuster bei ROCD
Um mit den quälenden Zweifeln umzugehen, greifen Betroffene oft zu Strategien, die kurzfristig beruhigen – langfristig aber alles schlimmer machen:
- Rückversicherung suchen: ständiges Fragen an den Partner oder Freunde.
- Googeln & Tests: stundenlange Recherche zu „echter Liebe“.
- Vergleiche: Beobachten anderer Paare, oft in sozialen Medien.
- Vermeidung: romantische Filme oder Situationen meiden, die Unsicherheit verstärken könnten.
Warum ROCD so belastend ist
- Die Beziehung wird zur ständigen Quelle von Stress.
- Nähe und echte Gefühle gehen verloren.
- Manche Beziehungen zerbrechen – nicht weil die Liebe fehlt, sondern weil die Zweifel überhandnehmen.
- Selbst nach einer Trennung bleiben die Muster oft bestehen und tauchen in neuen Beziehungen wieder auf.
Erste Schritte im Umgang mit ROCD
- Unsicherheit zulassen: 100 % Sicherheit gibt es nicht – weder in Beziehungen noch im Leben.
- Achtsamkeit üben: Gedanken und Gefühle beobachten, ohne sofort reagieren zu müssen.
- Emotionen annehmen: auch widersprüchliche Gefühle gehören zu Beziehungen.
- Therapeutische Hilfe suchen: Besonders wirksam sind kognitive Verhaltenstherapie und Expositionsübungen.
👉 Wenn du mehr praktische Übungen suchst, findest du sie hier im Blogartikel: Zwangsgedanken loslassen – 3 einfache Übungen, die wirklich helfen
Fazit
ROCD ist eine ernstzunehmende, aber behandelbare Form der Zwangsstörung. Der Schlüssel liegt darin, den Kampf um absolute Gewissheit loszulassen und wieder mehr Vertrauen in das eigene Erleben zu finden.
Wenn du dich darin wiedererkennst: Du bist nicht allein. Unterstützung kann helfen, den Kreislauf aus Zweifeln und Rückversicherung zu durchbrechen.
🎧 Hier geht’s zur passenden Podcast-Folge:
ROCD-Zweifel sind Zwangsgedanken
Auch wenn die Inhalte sich um die Beziehung drehen, handelt es sich bei ROCD-Zweifeln um Zwangsgedanken – und sie sollten genauso behandelt werden wie andere Formen von Zwangsgedanken.
Das bedeutet:
- Nicht analysieren oder beantworten („Liebe ich wirklich?“ / „Ist mein Partner der Richtige?“).
- Unsicherheit aushalten lernen – es gibt keine hundertprozentige Gewissheit in Beziehungen.
- Exposition und Reaktionsverhinderung (ERP): Nicht nachgeben, nicht kontrollieren, nicht ständig Rückversicherung holen.
Mehr erfahren: In dieser Podcast-Folge sprechen wir darüber, wie du lernen kannst, Zwangsgedanken loszulassen und besser mit deinen Zweifeln umzugehen 👉 Podcast: „Wie schaffe ich Zwangsgedanken loszulassen?“
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