Unter Zwangsstörungen leiden nicht nur die Betroffene selbst, sondern auch die Menschen in ihrem Umfeld. In meiner Arbeit begegnet mir häufig, dass Angehörige in die Zwangssysteme der Personen mit eingebunden werden.
Frau Senn lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern zusammen. Ihr Mann leidet schon seit vielen Jahren unter Wasch- und Kontrollzwängen. Über die Jahre haben sich seine Symptome verschlimmert. Sie hat gemerkt, wie anstrengend und zeitaufwändig es ist, wenn er bei den Hausarbeiten mithilft. Um ihn zu entlasten, hat sie die Aufgaben in ihrem gemeinsamen Haushalt komplett übernommen. Aus dem gleichen Grund öffnet sie für ihn die Tür, wenn er das Haus verlässt. Bei den Waschritualen bedient sie stundenlang den Seifenspender für ihren Mann. Unterwegs mit Freundinnen wird sie wiederholt von ihrem Mann angerufen. „Kannst du mir versichern, dass ich beim Händewaschen mit meinen Armen nicht am Waschbecken angekommen bin?“
Wenn die Familie die Hilfe verweigert oder auf die Fragen nicht eingeht, dann merken sie, in welche Anspannung, der Betroffene gerät. Häufig entgegnet ihnen die Wut, Verzweiflung, Angst und Traurigkeit des Menschen. Das führt dazu, dass sie die Hilfestellung leisten und die Fragen beantworten, damit sich die Person wieder beruhigt. Mit der Zeit merken sie, dass sich durch ihre gutgemeinte Mithilfe die Situation nicht verbessert. Sie fühlen sich oft gefangen im Zwangssystem und wissen nicht, wie sie eigene Freiräume wieder zurückerobern. Es ist menschlich, dass die Menschen im nahen Umfeld in diese Lage geraten. Das Problem ist, dass die gut gemeinte Hilfe nicht wirklich hilfreich ist. Sie hilft nicht dem Menschen, sondern dem Zwang- und zwar zu wachsen. Das hat mit einem ungünstigen Teufelskreis der Zwangsstörung zu tun. Es gibt einen Ratgeber, der genau auf diese Problemstellung eingeht und praktische Hilfe anbietet. Der Zwang in meiner Nähe- Rat und Hilfe für Angehörige von zwangskranken Menschen. Von Michael Rufer (ehemaliger Präsident der schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen) und Susanne Fricke, herausgegeben im Hogrefe Verlag.
WICHTIG
- Angehörige leiden ebenfalls und brauchen Anleitung von Fachpersonen
- Die Mithilfe bei Zwangshandlungen verschlimmert die Situation